BGH-Urteil gegen Facebook – die Begründung

Drei Wochen nach der Urteilsverkündung liegt uns jetzt die erste Urteilsbegründung vor. Hier unsere Analyse:

Verfahrensgegenstand – was der BGH überhaupt entschieden hat, und was nicht

Der BGH hatte im konkreten Fall nur über zwei Rechtsfragen zu entscheiden – nämlich, ob der gelöschte Beitrag des Nutzers wiederherzustellen ist, und ob ein Unterlassungsanspruch besteht. Alle anderen Aspekte des Falles waren vom OLG Nürnberg, der Vorinstanz, nicht zur Revision zugelassen worden. Den Unterlassungsanspruch lehnte der BGH aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles zwar ab, stellte aber zugleich klar, dass er ohne diese Besonderheiten bestehen würde. Im zweiten Fall – dessen Begründung noch aussteht – hat der BGH daher Facebook auch zur Unterlassung verurteilt.

Dagegen entschied der BGH weder über die Frage der Löschung eines Nutzerkontos noch über Auskunfts- oder Schadensersatzansprüche. Insoweit sind also nach wie vor zahlreiche Fragen offen, die noch geklärt werden müssen. Ebenfalls hat der BGH nicht über die Wirksamkeit der verschiedenen Fassungen der  Gemeinschaftsstandards entschieden, denn darauf kam es gar nicht mehr an. Allerdings können der Urteilsbegründung zahlreiche Anhaltspunkte entnommen werden, die optimistisch stimmen.

Facebook, das virtuelle Hausrecht und das NetzDG

Die große juristische Streitfrage war, ob Facebook als Betreiber des Netzwerkes in den Gemeinschaftsstandards strengere Regeln für Meinungsäußerungen vorsehen darf als der Gesetzgeber. Dazu gab es bisher im Grunde drei Positionen.

  • Was viele Nutzer für selbstverständlich halten, ist es keineswegs. Denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt – wie alle Grundrechte – zunächst einmal nur für staatliche Stellen. Facebook ist aber ein Privatunternehmen. Deswegen haben manche Gerichte (und natürlich vor allem Befürworter der Zensur) vertreten, dass Facebook dieses Grundrecht gar nicht berücksichtigen müsse. Oft wurde dazu das sogenannte „virtuelle Hausrecht“ bemüht, vermittels dessen Facebook frei entscheiden könne, wen es in welchem Maße kommentieren lasse. Diese Position war rechtlich schon immer fragwürdig, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hat das schon der Vertrag zwischen Facebook und den Nutzern nicht hergegeben – denn anders als z.B. die Leserbriefspalte einer Tageszeitung handelt es sich bei der Kommentarfunktion Facebooks um eine sogenannte Hauptleistungspflicht, die man durch AGB allenfalls einschränken, aber nicht aushöhlen darf. Und zum anderen ist Facebook eben kein 1000-Nutzer-Blog, sondern DIE entscheidende Plattform, auf der man sich austauschen kann.
  • Die Mehrzahl der Gerichte sah das schon bisher zumindest dem Grunde nach auch so, wollte aber dennoch Facebook einen sehr weiten Ermessensspielraum einräumen, also insbesondere eine erhebliche Einengung der Meinungsäußerungsfreiheit zu umstrittenen Themen wie Migration oder Islam einräumen. Das ergab dann reine Lippenbekenntnisse zur Meinungsfreiheit, bei denen Gerichte zunächst ausführten, dass Facebook aufgrund seiner Marktmacht die Grundrechte berücksichtigen müsse – aber im Ergebnis dennoch kritische Beiträge löschen und die Nutzer sperren dürfe. Immerhin konnten wir einen erheblichen Teil dieser Gerichte dann im konkreten Fall davon überzeugen, dass gar kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards vorlag.
  • Eine Minderheit der Gerichte (OLG München, OLG Oldenburg) dagegen nahm an, dass Facebook grundsätzlich keine rechtmäßigen Beiträge sperren dürfe. Das war selbstverständlich auch unsere Position.

Der BGH neigt letztlich der mittleren Ansicht zu. Demnach soll es Facebook nicht dem Grunde nach verwehrt sein, strengere Maßstäbe aufzustellen als die deutschen Gesetze. Das begründet der BGH u.a. mit der Berufsfreiheit Facebooks und der Gefahr, dass Werbekunden abgeschreckt werden könnten. Soweit ist das auch nachvollziehbar – zumal der BGH es nicht bei diesem Punkt belässt, sondern auch gleich vorgibt, wie Facebook damit umzugehen hat. Problematisch ist allerdings, dass der BGH dann auch das NetzDG-„Dilemma“ Facebooks als Begründung akzeptiert. Weil Facebook befürchten muss, bei der Nichtlöschung rechtswidriger Beiträge hohe Strafen zu zahlen, dürfe es die Schwierigkeit, zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Beiträgen zu unterscheiden, auf die Nutzer abwälzen. Das wiederum ist genau der Punkt, weswegen wir und viele andere das NetzDG für klar verfassungswidrig halten – es zwingt Facebook in die Zensur. Hierzu verliert der BGH bedauerlicherweise kein Wort.

Weil der Kläger aber gleichwohl gegen Facebook gewonnen hat, kommt eine Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht. Damit sind gleich zwei verfassungsrechtlich bedeutsame Fragen weiterhin ungeklärt – die Bindung Facebooks an Grundrechte und die Verfassungswidrigkeit des NetzDG. Welche Bedeutung das für die Praxis hat, wird man aber sehen – denn der BGH setzt Facebook klare Grenzen.

Die Grundrechte der Nutzer

Während der BGH nämlich auch die Position Facebooks anerkennt, sieht er auf Seiten der Nutzer gleich zwei bedeutsame Grundrechte angesprochen.

  • Auf der Hand liegt, dass die Meinungsfreiheit der Nutzer von Sperren und Löschungen betroffen ist. Hier stellt der BGH klar, dass Facebook eben nicht irgendwer ist, sondern die mit Abstand wichtigste Plattform. Wer hier gesperrt ist, kann seine Meinung vielleicht in den Wald schreien, aber niemanden mehr erreichen. Deswegen muss Facebook das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beachten.
  • Überraschend ist aber, dass der BGH – ganz im Gegensatz zu den OLG – auch dem Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG) Bedeutung beimisst. Facebook darf weder Willkür walten lassen, noch darf Facebook missliebige politische Ansichten von der Plattform verbannen.

Vor allem Letzteres ist ein schwerer Schlag für die Zensurpolitik des Unternehmens, die ja vornehmlich der Durchsetzung linker Weltbilder dient. Es ist aber auch ein Schlag ins Gesicht der OLG Deutschlands, die bisher unseren entsprechenden Vortrag stets vom Tisch wischten und mutwillig die Augen vor der politischen Schlagseite Facebooks verschlossen.

Mit der mehr als deutlichen Anerkennung der Grundrechte der Nutzer hat der BGH den zukünftigen Weg klar vorgegeben.

  • Zum einen müssen Gerichte bei der Auslegung von Meinungsäußerungen der Nutzer eben auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen – was vor allem politisch orientierte Gerichte bisher stets verweigerten. Wenn Gerichte rechtsfehlerhaft Nutzerbeiträge als „außerhalb des Schutzbereiches stehend“ behandeln wollen, ist die Verfassungsbeschwerde dagegen weitaus aussichtsreicher als bisher.
  • Zum anderen wird zukünftig jede einzelne Bestimmung der „Gemeinschaftsstandards“ auch daran zu messen sein, ob damit nicht in Wirklichkeit eine bestimmte politische Haltung untersagt werden soll. Dass z.B. der Flüchtlingsstatus eine „Eigenschaft“ sein soll, wegen derer man nichts Negatives schreiben dürfe, ist vor dem Hintergrund der BGH-Urteile nicht mehr haltbar.

Unwirksamkeit der (derzeitigen) Sperr-Regelungen

Die (vorläufige) Lösung des BGH für die derzeitigen Nutzungsbedingungen ist dann eine überraschende. Er sieht das Hauptproblem nämlich nicht erst bei den Gemeinschaftsstandards, sondern schon in den Nutzungsbedingungen, die das Scharnier zwischen Regelverstoß und Sanktion darstellen. Nach Meinung des BGH muss Facebook nämlich in den Nutzungsbedingungen ein Verfahren vorsehen, das den Nutzer im Falle von Löschungen und Sperrungen anhört. Der Nutzer muss also Gelegenheit bekommen, zeitnah seine gegenteilige Position darzustellen.

Ob eine solche Anhörung einen Fortschritt bringt, wagen wir ehrlich gesagt zu bezweifeln. Aber die Konsequenz dieser Ansicht ist nun mal, dass die derzeitigen Sperr-Vorschriften schlechterdings unwirksam sind.

Und das heißt, dass jede Sperre, jede Löschung der letzten Jahre, sofern sie auf bloße Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards gestützt wurde, rechtswidrig ist

Was tun bei Facebook-Sperren?

Wer von Facebook in den letzten drei Jahren gesperrt wurde, kann sich gerne über das Kontaktformular an uns wenden. Wir helfen Ihnen zu Ihrem Recht!

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