In der mündlichen Verhandlung im Dezember 2021 hatte es sich schon angekündigt – jetzt ist es amtlich: Die Klarnamenpflicht Facebooks war jedenfalls nach der Rechtslage von 2018 eindeutig rechtswidrig.
Die beiden Fälle
REPGOW vertrat zwei Facebook-Nutzer, die Facebook zwar nutzen, dabei aber anonym bleiben wollten. In einem Fall versuchte der Kläger deshalb, seinen Nutzernahmen zu ändern, wurde hieran aber von Facebook gehindert. Er wehrte sich vor Gericht mit dem Verlangen, dass Facebook seine Nutzernamenänderung hinnehmen müssen. Noch deutlich dramatischer war der Fall der Klägerin. Diese nutzte Facebook, um mit ihrer weltweit verstreuten Familie zu kommunizieren, und das unter einem Pseudonym. Facebook nahm das zum Anlass, das Konto gleich vollständig zu deaktivieren und die Nutzerin aus dem Netzwerk zu verbannen.
Eigentlich war die Rechtslage klar:
Telemediengesetz§ 13 Pflichten des Diensteanbieters
[…](6) 1Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. 2Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.
Unverkennbar waren jedoch leider auch hier wieder die Sympathien der Instanzgerichte für Facebook. Trotz der eigentlich klaren Rechtslage unternahmen die Gerichte alle denkbaren juristischen Klimmzüge, um Facebook zum Erfolg zu verhelfen. In beiden Fällen lehnten die Vorinstanzen, zuletzt das OLG München, die Klagen ab. Immerhin – anders als sonst ließ der 18. Senat die Revision zum BGH zu.
Während sich Facebook darauf stützte, man müssen Menschen durch die Klarnamenpflicht davon abhalten, böse Dinge zu sagen (sprich, sie einschüchtern), stützten wir unsere Klagen auf die Problemlage im Internet:
- Nicht derjenige, der seine Meinung äußert, stellt die Gefahr dar, sondern derjenige, der ihm deswegen Nachteile zufügt. Wenn Arbeitgeber Facebook-Profile durchforsten, können Arbeitnehmer eigentlich nur gar nichts schreiben, oder nur konforme Bagatellen, oder sie riskieren, nicht eingestellt zu werden.
- Es gibt genügend Beispiele für „Shitstorms“ (Wutstürme), die über ganz normale Menschen wegen zulässiger Meinungsäußerungen hereinbrachen – und bei manchen Gewerbetreibenden zum Wegfall von Aufträgen führten.
- Vor allem ist die Klarnamenpflicht weder notwendig noch nützlich, um Straftaten zu verhindern. Straftäter halten sich sowieso nicht an Regeln, und die Verantwortlichkeit von Nutzern kann Facebook auch durch Legitimation der Nutzer ggü. Facebook sicherstellen.
Urteil des BGH
Der BGH wischte die beiden Urteile dann geradezu vom Tisch. Er griff dabei eines der zentralen Argumente von REPGOW auf:
Eine umfassende Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie) ergibt, dass es der Beklagten zwar nicht zumutbar gewesen ist, die Nutzung des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer ihr zuvor – etwa bei der Registrierung – im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte. Für die anschließende Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym ist die Zumutbarkeit jedoch zu bejahen.
Auf Deutsch: Facebook darf von seinen Nutzern verlangen, ihre Identität ggü. Facebook nachzuweisen – so dass sie für etwaige Straftaten dann auch greifbar sind. Damit endet das schützenswerte Interesse Facebooks aber auch. Weil es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelte, konnte sich Facebook auch nicht mit alternativen Erwägungen durchsetzen – ist eine Klausel unwirksam, darf sie nicht durch Vertragsauslegung ersetzt werden (§ 306 Abs. 1 BGB)
Neue Rechtslage ab Inkrafttreten der DSGVO
Der BGH hatte indes in beiden Fällen zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO entschieden. Ob und inwieweit diese EU-Verordnung dem deutschen Recht (jetzt § 19 Abs. 2 TTDSG) vorgeht oder nicht, ist offen. Da die Urteilsbegründung des BGH noch nicht vorliegt, kann derzeit auch nicht prognostiziert werden, wie der BGH mit den Neufällen umgehen wird.
Sicher ist eines – Facebook selbst wird die Urteile nicht auf andere Nutzer anwenden und behaupten, dass die neue Rechtslage anders wäre. Befeuert wird der Konzern darin natürlich wieder von der Politik, die liebend gerne Menschen durch Einschüchterung an der freien Meinungsäußerung hindern würde.
REPGOW wird den Kampf aber sicher weiterführen.
Regensburg, den 29.01.2022
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Bericht von der mündlichen Verhandlung am 09.12.2021:
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Heute fand die mündliche Verhandlung vor dem BGH zur Klarnamenpflicht auf Facebook statt. Zwei von REPGOW vertretene Kläger gehen gegen den Konzern vor, der sie zur Nutzung ihres bürgerlichen Namens zwingen will. Wir halten das für einen Teil von Facebooks Zensurpolitik – denn wer heutzutage zu irgendeinem Reizthema eine „nicht genehme“ Meinung vertritt, muss befürchten, den ersehnten Arbeitsplatz nicht zur erhalten, Kunden zu verlieren oder Opfer eines Wutsturmes („Shitstorm“) zu werden.
Doch diese Grundsatzfrage wird möglicherweise gar nicht entschieden. Denn der BGH wird aufgrund prozessualer Besonderheiten in beiden Fällen nur die Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO prüfen. Das wird voraussichtlich in beiden Fällen zur Unanwendbarkeit der AGB Facebooks führen, ohne dass es auf die Güterabwägung ankommen wird. Ein Urteil wird vss. erst Ende Januar verkündet werden, der Senat hat noch Beratungsbedarf.
Karlsruhe, den 09.12.2021